Die Sache mit dem Körper

Immer mal wieder werde ich gefragt, wofür ich denn Coaching anbiete. Die ehrliche, aber oft wenig wirkungsvolle Antwort darauf ist: „Also eigentlich für vieles, was einem im Leben so begegnen kann und was einen mehr oder weniger herausfordert.“ Natürlich gibt es auch vieles, das in einem Coaching bei mir definitiv falsch versorgt wäre (für eine Tenniskarriere bin ich eher nicht die geeignete Ansprechperson). Aber es ist eben auch nicht so, dass ich nur auf ein Thema spezialisiert bin. Mein Ausweg aus diesem Dilemma ist dann jeweils, darüber zu sprechen, wie ich coache anstatt wofür (wobei das wofür schon auch sehr spannend ist; ich komme darauf zurück).

Beim Wie spielt der Einbezug des Körpers eine wichtige Rolle – und sorgt gleichzeitig dann auch für Fragezeichen, manchmal auch ängstlich geweitete Augen. Man schöpfte auch schon Verdacht, es könnte sich bei meiner Arbeitsweise um Esoterik handeln. Daher hier mal einige Ausführungen dazu.

Im Alltag sprechen wir von unserem Körper in der dritten Person und verbunden mit dem Verb haben. Ich habe einen Körper. Und der hat vielleicht gerade einen Schnupfen oder ein schmerzendes Gelenk. Ich finde ihn schön und bin mit ihm zufrieden oder – viel häufiger – eben nicht. Er tut, was ich will oder – immer mal wieder – eben nicht. Identität erleben viele von uns1 stark über Gedanken, also über (gedankliche) Selbstbilder. Vielleicht auch über Charaktereigenschaften, die wir uns zuschreiben, Vorlieben, Interessen, im Leben Erreichtes. Hier kommt dann viel eher das Wörtchen sein. Ich bin Sozialarbeiterin. Dabei ist eigentlich der Körper etwas vom Greifbarsten, das wir sind. Jede Gefühlsregung basiert auf einer körperlichen Regung. Auch Gedanken sind, auf einer neuronalen Ebene, körperliche Vorgänge. Nur erleben wir das meist nicht so. Dieser Körper ist immer dabei. Seit es mich gibt, hat er alles im wortwörtlichen Sinn hautnah miterlebt, was ich als meine bisherigen Erfahrungen betrachte. Auf diesem Weg hat er viele Informationen gesammelt. Er hat gelernt und verlernt, hat Spuren davongetragen und auf das, was ich mir in meinem Leben eingerichtet habe, reagiert. Er hat sich durch den Geburtskanal gekämpft, ist gerannt, geschwommen, gestürzt, hat Viren und Bakterien kennengelernt, hat getanzt bis zum Umfallen, im Wüstensand gelegen, gekuschelt, gezittert, gefiebert. Mittlerweile sprechen zahlreiche Forschungsergebnisse dafür, dass frühkindliche Erlebnisse auf unser weiteres Dasein im Leben (insbesondere in Beziehungen) einen wesentlichen Einfluss haben. Sie finden statt, bevor derjenige Teil unseres Gehirns, der in unserem alltäglichen Wortsinn „denken“ kann, entwickelt ist. Derjenige, der mit diesen frühen Erlebnissen lernt und sich auch später immer wieder neu adaptiert, ist der Körper. Wir sind immer auch der Körper, der wir einmal waren.

Im späteren Leben macht das Gehirn (wenn es dann gross ist und das immer besser kann) eine Deutung davon. Es schreibt eine Erzählung darüber, wer wir sind – und auch zunehmend, wer wir sein wollen. Nun hat Coaching (wohl teilweise zurecht – darüber gibt es in diesem Blog einen anderen Beitrag) den Ruf, insbesondere der Erzählung davon, wer wir sein könnten, ziemlich viel Beachtung zu schenken. Die Körperorientierung, die ich in den zu Beginn erwähnten, etwas unbehaglichen Gesprächssituationen zu erklären trachte, hat aber genau das Gegenteil im Sinn: zu erkunden, wer wir sind und uns damit zu verbinden. Nichts führt mich – dies ist meine tiefe Überzeugung und meine Erfahrung – so sehr zu mir selbst wie eine präsente, stabile Selbst- und Körperwahrnehmung. Damit einher geht dann halt auch die Begegnung mit allem, was der Körper so draufhat, zum Beispiel das Erzeugen von starken Gefühlen, was durchaus nicht immer erfreulich ist.

In der Coachingpraxis sieht das dann ganz unterschiedlich aus. Manchmal bedeutet es, überhaupt zu lernen, die eigenen Körperempfindungen wahrzunehmen und zu benennen. Oder es gilt, einer starken Empfindung einmal mehr Geduld zu schenken als normalerweise, so dass sie vollständig gespürt werden kann. Und manchmal bedeutet es, eine ganz spezifische Übung zu machen, die etwas hervorruft, das uns im Coaching interessiert, da es das deutende Gehirn eben noch nicht so genau weiss. Und es bedeutet üben, üben, üben. Wahrnehmen üben, empfinden üben, fühlen üben, aushalten üben. Üben, in Verbindung zu sein mit dem, was da ist, wenn ich mit dem Scheinwerfer nach innen zünde. Üben, gleichzeitig zu denken, zu fühlen und (körperlich) zu empfinden.

Das klingt streng. Ist es manchmal auch. Aber – und das ist ebenfalls meine persönliche Überzeugung – es lohnt sich: Wenn das deutende Gehirn etwas versteht und gleichzeitig das zugehörige Gefühl gefühlt und die entsprechende Körperempfindung gespürt werden kann, kommen wir auch dem Körper-Sein näher. Oft berichten Menschen dann von einem zunehmenden Erleben von Verbundenheit mit sich selbst, einer Art Stimmigkeit, vielleicht Ruhe, vielleicht Klarheit. Es ist schwierig, dies in Worte zu fassen, und immer wieder anders. Aber es passiert auch, wenn es um sehr schwierige Themen geht. Zu Beginn manchmal nur für kurze Momente, mit der Zeit dann vielleicht anhaltender (dass dieses Gefühl für immer bleibt und stets abrufbar wird, ist hingegen unwahrscheinlich – solchen Versprechungen wäre dringend zu misstrauen).

Und hier möchte ich nochmals zum Wofür zurückkommen. Coaching wofür? Wofür sich selbst so sehr in den Fokus stellen? Was mit der beschriebenen Vorgehensweise gefördert wird, ist die Ausrichtung des Coachingprozesses am Wesentlichen. Körperempfindungen lügen nicht, deuten nicht, vermeiden nicht. Sie sind einfach da. Sie laden ein, alles, was uns ausmacht (also auch das, was uns nicht so lieb ist), zu sehen und zu integrieren. Und was integriert wird (sprich: gedacht und gefühlt und körperlich empfunden), hat weniger ungesteuerte Macht. Wenn uns etwas geprägt hat, wir dies jedoch nicht sehen und fühlen wollen oder können, bringt es uns oft dazu, so zu handeln, dass wir es fühlen und sehen müssen – und bringt uns und andere damit mitunter in blöde Situationen.2 So ist die körperorientierte Methodik im Coaching ein kraftvolles Instrument, um den Boden dafür zu legen, dass Kund:innen mit ihrem Thema einen anderen Umgang erproben können. Einfach weil sie mehr wahrnehmen, dies aushalten und ihr innerer Raum, in dem allerlei Empfindungen Platz haben, grösser wird. Und damit werden sie freier, neue Perspektiven einzunehmen und den Fokus letztlich auch wieder anderem und anderen zuzuwenden (will unter anderem auch heissen: einen Coachingprozess wieder abzuschliessen).

Ja, und zuletzt möchte ich doch noch ein paar grosse Worte schwingen. Meine Überzeugung ist, dass Menschen, die sich im obigen Sinne selbst wahrnehmen und mit sich in Verbindung sind, auch gut für andere da sein können: für ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Freunde oder ihre Schüler:innen (und wahrscheinlich auch für ihre Tiere und ihre Pflanzen). Sie sind auch besser in der Lage, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und sich für etwas einzusetzen, denn Verbundenheit mit sich selbst spendet Kraft. Solche Menschen – total unvollkommen, aber wahrnehmend – braucht die Welt.

  1. Mit „uns“ meine ich uns in unserer individualisierten, westlich geprägten, leistungsorientierten Gesellschaft. ↩︎
  2. Selbstverständlich muss hier erwähnt werden, dass die Fähigkeit, Dinge eben nicht zu sehen und nicht zu fühlen, in gewissen Situationen lebenswichtig ist, so zum Beispiel für Menschen, die schwere Traumata erlebt haben. Man kann meiner Meinung nach nicht sagen, es sei immer besser, alles zu empfinden und zu fühlen. So einfach ist es also auch nicht. ↩︎

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Zwei von vielen Büchern zum Thema:

  • Wer die grossen Worte mag, vielleicht auch an Tanz und Bewegung interessiert ist und sich an ein dickes Buch wagt, dem sei von Heike Pourian „Wenn wir wieder wahrnehmen“ empfohlen. Ich habe es gelesen und mich abwechslungsweise gefreut und wahnsinnig aufgeregt, mich verstanden gefühlt, neue Erkenntnisse gehabt und dann wiederum gedacht: „Aber nein, das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ – Also alles, was ein gutes Buch so hergeben sollte. Das Buch ist kein Ratgeber, kein im engeren Sinne wissenschaftliches Buch, sondern ein persönlicher Reflexionsbericht, der auch den:die Leser:in dazu einlädt, sich zu sehr vielem Gedanken zu machen und sich – eben – wahrzunehmen. Und zwar nicht nur als Individuum sondern auch als Teil einer Gesellschaft und als Teil der Erde als Gesamtorganismus.
  • Jack Lee Rosenberg, Marjorie Rand und Diane Asay, Begründer:innen der Methode IBP (Integrative Body Psychotherapy), haben 1985 das Buch „Körper, Selbst und Seele“ herausgegeben – ganz wunderbar-schrecklich amerikanisch und sehr lesenswert. Mit etwas Nostalgie fürs 20. Jahrhundert, das schon so lange her ist.