Life Coaching, Resilienz und Einstein: warum es schwer ist, Coaching anzubieten

Kein Monat vergeht, ohne dass Artikel, Filme oder Podcasts zum Thema Coaching veröffentlicht werden. Der Begriff, der auch auf meiner Website, in meinem Logo, prominent zu finden ist, hält für so allerlei her – denn er ist nicht geschützt. „Coach“ darf sich jede:r nennen; auch ohne ernstzunehmende Ausbildung und mit allerlei Attributen (Spiritual Coach, Integral Coach, Resilienzcoach, Life Coach, Energiecoach – you name it). Der Begriff erzeugt bei mir, ich muss es zugeben, Unbehagen. Ich bin ganz und gar nicht in Frieden damit.

Als ich damit begann, meine Website zu entwickeln, verbrachte ich Stunden damit, mir zu überlegen, wie mein Angebot heissen sollte. Ich studierte an phantasievollen Wortschöpfungen herum, erhielt dafür eher zurückhaltendes Feedback von intelligenten Menschen und landete dann doch wieder bei den spröderen Varianten, die einfach meinen uncharmanten Namen und das, was ich tue, enthielten. Aber was tue ich? Beraten? Nein, denn ich gebe Kund:innen in der Regel nicht primär einen Rat. Begleitung? Klingt zu sehr nach Freiwilligenarbeit und Händchenhalten. Prozessarbeit? Zu schwurblig und zu wenig im Verständnis durchschnittlicher Suchmaschinenverwender:innen verankert. Psychotherapie? So darf ich das, was ich tue, nicht nennen, da diese Berufsbezeichnung im Gegensatz zum Coaching zum Glück geschützt ist. Und ich biete auch keine Psychotherapie an – natürlich nicht. Auch wenn das, was sich im Rahmen eines Coachings abspielt, einer Psychotherapie manchmal ähnelt und der Coachingansatz, in dem ich ausgebildet bin, auf einem Psychotherapieansatz beruht (wie übrigens viele gute Coachingausbildungen). Also doch Coaching. Bleibt ja nichts anderes übrig.

Ich beschäftige mich also weiter mit dem Begriff, auch weil ich mich mit Werbung befassen muss und diese sich bekanntlich zu einem grossen Teil online abspielt. Die Stichwortrecherche ergibt sodann, dass die Wörter „Resilienz“ und „Life Coaching“ sehr oft gesucht werden. Beide sind auf meiner Website bisher nicht prominent vertreten. Resilienz kommt nicht vor, weil ich mich bisher dagegen sträube, ein komplexes psychologisches Konzept davon, was Menschen in ihrem Leben widerstandsfähig macht und was diese Widerstandsfähigkeit bedeutet, als Lock- und Marketinginstrument zu benutzen. Und was ist mit Life Coaching? Wenn ich Websites anschaue, die ebendies anbieten, werde ich bedrängt von Sonnenuntergängen, Berggipfeln, Wellen; von zweifelhaften Einstein-, Sokrates-, Dalai Lama- und (im besten Fall) Rumi-Zitaten ohne genauere Quellenangabe. Es breiten gebräunte, glücklich die Augen schliessende Menschen in sanftem Abendlicht ihre Arme aus und haben endlich gefunden, was sie suchen: nämlich sich selbst. „Werde die Person, die du wirklich bist! Lebe dein Potential!“ Vielleicht lieber auf Englisch? „Excel your life!“

Die Imperative zum Glück wechseln sich ab mit dem Versprechen, sich innert fünf Sitzungen (gerne auch online – dann sitzt der Coach vielleicht in Bali oder Ibiza) endlich von Unsicherheit, Zweifel, Leiden und selbstschädigendem Verhalten zu verabschieden. Und vielleicht können manche dieser Angebote tatsächlich etwas bewirken. Ich weiss es ja nicht, denn ich habe es nicht ausprobiert. Und trotzdem, damit will ich nichts zu tun haben. Daher also auch nicht Life Coaching. Eigentlich. Der Begriff taucht dann der Werbung zuliebe doch eine Weile lang auf meiner Website auf – mit zerknirschter Akzeptanz in Klammern gesetzt. Ich verteidige diese Inkonsequenz vor mir selbst mit der Hoffnung, dass diejenigen, die nach diesem Begriff suchen und mich, so Google will, finden, ja dann bei mir was Besseres bekommen als hohe Rechnungen für gloriose Versprechungen. Aber glücklich bin ich damit nicht, und als ich bald darauf wieder in meiner Website eingeloggt bin, drückt mein Finger die Löschtaste.

Coaching ist also ein schwieriger Betriff. Nachdem ich den sehr empfehlenswerten Film „Glücklichsein um jeden Preis“, eine Produktion von Arte (leider nicht mehr online), gesehen habe, durchforste ich erneut meine Website und finde einen weiteren Begriff: die Persönlichkeitsentwicklung. Sie fungiert auf meiner Website längere Zeit als Untertitel, und bis dahin finde ich sie ganz passabel. Aber auch sie kann, wie ich nun lerne, durchaus auf zweifelhafte Weise vereinnahmt werden. Zum Beispiel wenn in Unternehmen die Tendenz zunimmt, strukturell bedingte Probleme, die die Menschen belasten, zum Individuum hinzuverlagern. Diesem wird dann also im Rahmen eines Coachings – vom Arbeitgeber teuer bezahlt oder auch bereits unternehmensintern institutionalisiert – Persönlichkeitsentwicklung ermöglicht. Es soll dabei lernen, mit den Rahmenbedingungen, die nun mal gegeben sind, einen adäquaten Umgang zu finden. Sie fühlen hohen Leistungsdruck? Lernen Sie, diesen zu nutzen, um das Beste aus sich herauszuholen! Sie haben Mühe damit, keinen eigenen Schreibtisch mehr zu haben? Im Coaching entdecken Sie Ihre Flexibilität! Sie haben Angst davor, entlassen zu werden? Lernen Sie, das Leben zu nehmen, wie es kommt! Nur wer loslässt hat die Hände frei! Sie sind wütend über Ihre Arbeitsbedingungen? Lernen Sie, sich auf positive Gefühle und Gedanken zu fokussieren!

Aber: Ich bin für Wut, für Ärger, für einen kritischen, skeptischen Blick auf unsere Umwelt – er ist dringend notwendig. Ich bin dafür, Leiden als solches anzuerkennen und es nicht umgehend damit zu relativieren, dass man daraus etwas lernt und dass es einen stärker macht. Manchmal ist das nämlich nicht so. Ich bin für die Veränderungskraft, die gerade Menschen, die sich aus eigener Betroffenheit eingehend mit einem Problem befassen, mitbringen können. Und natürlich bin ich auch dafür, dass Menschen Glück erleben und Zufriedenheit, dass es ihnen gelingt, ein Leben zu führen, das zu ihnen passt und sie meist erfüllt. Und vielleicht ist das nur möglich, wenn auch Ärger, Wut, Leiden teil davon sein dürfen?

Worin besteht also mein Angebot? Letztlich biete ich mich an als Gegenüber für Menschen, die sich mit einer (meist herausfordernden) Gegebenheit in ihrem Leben näher befassen möchten und dafür eine Lösung oder Verbesserung suchen. Und als dieses Gegenüber bringe ich wiederum etwas mehr mit als nur meinen gesunden Menschenverstand. Einerseits natürlich Wissen, Erfahrung, Methoden und Varianten der Bearbeitung einer Fragestellung. Aber vor allem: die Fähigkeit und Übung darin, als Gegenüber wirklich präsent zu sein und einen Raum zu gestalten, in dem vieles Platz hat. Worauf das hinausläuft, ist sehr unterschiedlich. Denn meist gehen die Leute nach einem Coaching ja nicht raus und haben sich und ihr Potential gefunden. Es wird ihnen im Gegenteil vielleicht klar, worauf sie gar keinen Einfluss haben und wie ihre Umwelt sie formt. Oft entstehen im Coaching auch offene Fragen, werden schwierige Gefühle und Verunsicherung spürbar. Manchmal fühlen Menschen im Coaching auch das, was sie sonst fühlen: nämlich nicht viel. Der feine Unterschied ist dann einfach, dass noch jemand dabei ist.

Und doch, es gibt die Aha-Erlebnisse, die Momente, in denen Menschen berichten, sich freier, zufriedener oder sicherer zu fühlen und Klarheit gewonnen zu haben. Dabei zu sein, wenn dieser Wandel geschieht, ist für mich sehr erfüllend und begründet unter anderem meine Leidenschaft für diese Tätigkeit. Dies als Coach nicht mitzuerleben (und das kommt natürlich vor), erfordert Frustrationstoleranz und Bescheidenheit. Letztere erachte ich als sehr wichtige Eigenschaft eines guten Coachs. Aber wie macht man dafür Werbung?